Als um 1990 herum die Digitalfotografie „erschwinglich“ wurde, fanden viele Quereinsteiger den Weg zur Fotografie. Während die einen ambitionierten Hobbyfotografen Hama-Weitwinkelkonverterlinsen von fragwürdiger Qualität in das Filtergewinde ihrer Kompaktkamera schraubten und sich in Feld und Flur oder dem Stadtpark um die Ecke herumtrieben und dies Landschaftsfotografie nannten, versuchten sich Andere an der Personenfotografie. Irgendwie.

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Das Heimstudio – Platz ist in der kleinsten Hütte“

  1. Baustrahler und Backpapier
  2. Platz ist in der kleinsten Hütte
  3. Portraits mit wenig Aufwand
  4. Das eigene Heimstudio

Nicht wenige angehende Fotografen träumten von inszenierten Fotos wie sie in Hochglanzmodemagazinen zu sehen waren und fingen an, sich mit der Studiofotografie auseinanderzusetzen. Dabei stellten sie jedoch schnell fest das dies mit ziemlichen Kosten verbunden ist: Studioblitze waren sehr teuer und die Anschaffung solcher damit nur für Profis realistisch. Aufsteckblitze konnten damals durchaus schon eine halbwegs akzeptable Alternative sein, hatten aber immer noch ihren Preis. Yongnuo, Neewer und Godox‘ Debut lagen noch in weiter Ferne und der aufstrebende Versandhändler Foto Walser hat gerade erst damit begonnen, ziemlich üble Billigware aus Fernost unter der Eigenmarke „Walimex“ zu vertreiben.

Also machten viele Fotografen aus dieser Not eine Tugend und die „Low Budget“-Szene war geboren.

Baustrahler und Backpapier: die späten Neunziger und frühen 2000er

Baustrahler im Flur
Baustrahler im Flur

Wer damals in der Fotocommunity aktiv war (welche noch heute eine der größten Online-Platformen für Fotografen ist), erinnert sich an die BB-Zeit: Baustrahler und Backpapier! Baustrahler waren häufig schon für wenig Geld im Baumarkt zu bekommen und hatten oft schon ein wackeliges Stativ mit im Paket. Also stellte man sich als Fotograf zwei von diesen 500 Watt Halogen-Brennern in den Wohnungsflur und hoffte dass das arme Mädel vor der Kamera nicht zu schnell in der Hitze verging. Um das Licht wenigstens halbwegs weich zu bekommen, wurde Backpapier vor die Baustrahler gespannt. Ich erinnere mich sogar daran Versuche mit Sonnenschirmen(!) als Lichtformer gesehen zu haben. Da dabei weit mehr als die Hälfte der eh schon spärlichen Lichtausbeute der Leuchten flöten ging, versuchte man mit höheren ISO oder längeren Belichtungszeiten zu kompensieren. Beides war nicht sonderlich förderlich für die Bildqualität. Schon früh versuchte man sich das üble Rauschen seiner Kamera noch mit „digitalem Korn“ schönzureden. 

Es war die Zeit der Rettungsdecken und Theatervorhänge als zerknitterter, faltiger, Hintergrund. Reihenweise wurden farbstichige Portraits produziert (einen korrekten und konsistenten Weissabgleich bei den Baustrahlern hinzubekommen war fast unmöglich) und wer sich an der Tabletop-Fotografie versuchte, konnte seine Blumen im Sucher in Echtzeit sterben sehen.

Wer kleine Motive fotografierte, Lego-Figuren und kleine Modellautos waren damals groß in Mode, hat seinen Küchentisch mit IKEA Schreibtischlampen zugestellt. Halogen natürlich.

Der (Kompakt-) Blitz schlägt ein

Es dauerte nicht lange und die ersten „preiswerteren“ Aufsteckblitze kamen auf dem Markt. Diese kleinen Plastikteile mit (optimistischen) Leitzahlen von 8 bis 12 waren nicht viel stärker als die in der Kamera verbaute Aufklappfunzel, aber immerhin konnte man die Blitze endlich positionieren, der Slave-Zelle von von Hama sei dank! Eine neue Welt tat sich auf. Auf jeden Fall bekam man jetzt wenigstens den Weissabgleich besser in den Griff.

Aus den USA schwappten dann irgendwann noch die Blitzbirnen herüber. Das waren einfache Blitzdingser, die in vorhandene E27 Lampen-Sockel geschraubt werden konnten. Sie liessen sich zwar nicht in der Leistung regulieren, boten aber erstmals für „wenig“ Geld brauchbare Leistung. Bauanleitungen für selbstgemachte Lichtformer für Aufstecker und Blitzbirnen tauchten an allen Ecken und Enden des Interwebs auf und kein Fotograf, der nicht mindestens einmal einen (ausgewaschenen) Joghurtbecher als „Diffusor“ vor seinen Blitz gesteckt hat. Legendär war auch der Trick mit dem aufgeschnittenen Tischtennisch-Ball für den Kamerablitz. Ganz Verrückte malten sich da noch einen Smiley vorne drauf. Bei Veranstaltungen hatte man so auf jeden Fall schon mal die Lacher auf seiner Seite.

In den folgenden Jahren wurden immer bessere, stärkere und vor allem billigere Blitzgeräte entwickelt und die ersten Anbieter begannen damit, Studio-Zubehör für diese Geräte zu entwickeln. Der „Blitzneiger mit Schirmschelle“ zog ein.

Die Neuzeit. Oder auch: „Es werde Licht“

Aufsteckblitze
Aufsteckblitze (Godox TT600) mit Funkauslöser (Godox X1T). Unten links: Metz mit Hama-Auslöserzellen.

In den letzten Jahren wurde in allen Lebensbereichen Technik immer preiswerter, auch in der Fotografie. Was vor 10 oder 15 Jahren finanziell nur schwer zu stemmen war, ist heute keine große Herausforderung mehr. Leistungsfähige Aufsteckblitze kosten kaum mehr 50€ und Studioblitzgeräte sind schon für wenige Hundert Euro zu haben – wenn man als Hobbyist nicht so auf die Marke achtet, bekommt man schon komplette Einsteigersets aus dem Elektronikfachmarkt für unter 200€. Lichtformer, Stative und Tragetasche inklusive.

Apropos „Erleuchtung“: Auch das Wissen rund um fotografische Themen ist heute zugänglicher und qualitativ hochwertiger als früher, wo die ausgebildeten Fotografen ihren heiligen Gral eifersüchtig hüteten. Sehr viele Berufsfotografen wie Krolop & Gerst, Joe Edelman oder Gavin Hoey haben den Sprung ins digitale Zeitalter mit einen Salto zur Kür gemacht und teilen ihr Know How kostenlos auf YouTube, nicht zuletzt um auch die eigenen Workshops zu promoten. Wertvoll sind die kurzen Videos allemal.

Wer noch etwas Budget übrig hat, kann auf Plattformen wie Masterclass, RGG Edu, Creative Live oder phlearn von angesehenen Fotokünstlern wie Annie Leibovitz, Lindsay Adler, Jeff Rojas, Sue Bryce oder Felix Kunze die Theorie und Praxis lernen.

Low Budget heisst nicht „No Budget“

Wo wir früher mit Baustrahlern unseren Models die Haut von den Knochen gebrannt haben und aus Pappe, Alufolie, Rosendraht, Klebeband und anderen Haushaltsartikeln für wenig bis gar kein Geld Lichtformer und Hintergründe gebastelt haben (IKEA Lampen und Salatschüsseln wurden gerne zum Beauty Dish umgebaut), ist heute brauchbare Qualität mit geringem finanziellen Aufwand zu erwerben. Und man muss nicht mehr vor dem Shooting mit dem Schraubendreher durch die Ausrüstung gehen (okay, wenn man WT-806 Stative von Walimex kauft, dann auch heute noch), oder Angst haben das irgendwas abfackelt bzw. das Model unter sich begräbt.

Heimstudio
Kleines mobiles Heimstudio

Heute kann man mit kleinen Budgets schon erstaunlich gutes Zubehör einkaufen und tolle Ergebnisse erzielen. Ein komplettes Hintergrundsystem, bestehend aus zwei Stativen, Querstange und einem zwei Meter breiten und vier Meter langen Hintergrundstoff ist bereits für 50 Euro zu haben. Dafür geht man nicht mehr in den Baumarkt und klebt sich irgendwas aus PVC-Rohren zusammen, was vermutlich am Ende sogar noch teurer kommt, aber beschissener aussieht.

Jetzt noch zwei starke Speedlites (Godox, Yongnuo…), ein passender Funkauslöser, zwei Lampen-Stative und zwei kleine faltbare Softboxen für knappe 150 Euro dazu, schon ist man mit gut 200 Euro für sehr viele fotografische Abenteuer gerüstet.

Platz ist in der kleinsten Hütte

Platz ist in der kleinsten Hütte
Platz ist in der kleinsten Hütte

So ein kleines Heimstudio lässt sich bequem in zwei Taschen im Schrank oder unter der Treppe verstauen und ist in wenigen Minuten auf- und wieder abgebaut. Platz für ein kleine (temporäre) Fotoecke findet sich immer, sei es im Wohn- oder Esszimmer, dem Flur oder in einem Schlafzimmer. Vielleicht steht steht ja sogar noch ein Kellerraum leer?

Vermutlich muss man das ein oder andere Möbelstück zur Seite rücken, etwa einen Sessel oder einen Tisch, aber man mag oft nicht glauben was alles Zuhause möglich ist. Selbst wenn der Platz für oben genanntes Stativ-System nicht reichen sollte, kann man mit Klemmstativen arbeiten. Diesmal aber die aus dem Baumarkt, da sind sie wirklich billiger als im Fotofachhandel.

Vermutlich wird man so keine Fashionfotos von Models auf Pferden oder Motorrädern machen können, aber viele andere Motive wie schöne Portraits, Oberkörper- (bis zur Hüfte) oder gar Ganzkörper-Fotos sind durchaus machbar.

Platz findet sich in der kleinsten Hütte! 

Das Beitragsbild stammt von Jens Wirok.