2020 war für uns alle eine Herausforderung. Oder gleich mehrere. Wie man es nimmt. Meine Eltern sagten immer „Man soll die Feste feiern wie sie fallen“ und damit meinten sie nicht nur die wilden Drogenparties der 60er, sondern im übertragenen Sinne das man Gelegenheiten beim Schopfe packt. Oder die Zeichen erkennen sollte. Das habe ich dann auch getan.

In der ersten März-Woche 2020 ging es los: Corona schlug ein, erster harter Lockdown in Spanien. Über mehrere Monate hinweg durften wir das Haus nicht verlassen, ausgenommen man musste sein Haustier ausführen (Kater Nelson hat sich übrigens geweigert an der Leine zu laufen) und nur ein Familienmitglied durfte einmal die Woche zum Einkaufen fahren. Heute scherze ich gern, dass es wohl der längste Hausarrest meines Lebens war, aber es war nicht immer zum Lachen.

Ich will nicht klagen, denn wir hatten noch Glück: Wir leben in einem relativ großen Reihenhaus mit einem kleinen Garten und unsere private und eingezäunte Wohnanlage erlaubte uns kurze Spaziergänge rund um die Gärten. Da wir nun alle von zu Hause arbeiten kam dennoch nicht viel Bewegung zusammen. Die ersten Lockerungen anfangs für ältere Leute und Sportler und später der stundenweise „Ausgang“ am Tag für alle Anderen brachten etwas Erleichterung. Als nach gut drei Monaten der Lockdown schrittweise zurückgenommen wurde, waren wir alle erleichtert. Treffen mit Familie und Freunden und kurze Besuche an der Strandbar waren endlich wieder möglich und das Auto wurde immer öfter stehen gelassen um das kurze Stück zu laufen.

Bedürfnisse.

Meine Holde liebäugelte schon länger mit der Anschaffung eines Ergometers, ich persönlich sah eher keinen Sinn darin, zumal ich keine Ahnung hatte wo das Teil stehen sollte. Aber 2020 würde mir (mal wieder) deutlich demonstrieren wie ich meine Meinung noch ändern sollte: Anfang Juni stand dann doch so ein Gerät bei uns im Schlafzimmer. Ein kleiner faltbarer Mini-Heimtrainer, über Facebook für etwas mehr als den Gegenwert einer 20er-Packung „Chicken McNuggets“ mit BBQ Sauce erstanden, von nun an von mir liebevoll „das Klapprad“ genannt.

Es kommt nun, wie es kommen muss: Meine Holde wurde kein großer Fan des Klapprades und ihm drohte das Schicksal so vieler Heimfitnessgeräte: Die Degradierung zum Wäsche- und Jackenständer (da passt ordentlich was drauf!) oder als Staubfänger im Keller. Da wir keinen Keller haben war das Schicksal als Kleiderablage besiegelt…

Vorhang erster Akt.

Pause.

2020 legte keine Pause ein, im Gegenteil. Ein lieber Freund lag plötzlich Abends neben Sessel und anschließend auf der Intensivstation mit einem Schlaganfall und wenig später verstarb mein ältester Jugendfreund an einem Hirntumor. Ich ließ die vergangenen Monate und Jahre Revue passieren. Ein Blick auf den runden Geburtstag, den ich eigentlich 2020 feiern wollte, sowie auf die Bewegungsstatistik meiner Apple Watch stimmten mich doch nachdenklich. Sollte ich vielleicht doch meinen Lebensstil ein wenig anpassen? Gesünder essen, mich etwas mehr bewegen, eventuell sogar Sport machen?

Veränderungen.

Warum eigentlich nicht? Das Klapprad war ja da. Also mal vorsichtig aus der Ecke geholt, ein wenig gegoogelt, YouTube konsultiert und wieder in die Ecke gestellt. Also das Klapprad. Nicht mich. Das ist eine andere Geschichte. Also die mit der Ecke. Aber ich schweife ab.

Noch mal von vorne. Google und Fitness-Trainer befragt und einen einfachen und leichten Trainingsplan erstellt. Also wirklich einfach. Und um ehrlich zu sein: ich war nicht so richtig begeistert: so soll es losgehen? Aber nun gut. Man muss irgendwo anfangen und mit einem Ausdauertraining startet man nun mal. In meinem Fall mit zwei Sessions pro Woche zu jeweils 15 Minuten bei minimalem Widerstand.

Kann ich mir blöd vor als ich den Plan las.

Noch blöder kam ich mir vor als ich dann doch ins Schwitzen geriet.

Geduld ist nicht meine Tugend, aber ich nahm mir fest vor dieses Ausdauertraining nach Plan durchzuziehen. Also wurde das Klapprad vor den Fernseher gestellt (den im Schlafzimmer bereits das Schicksal des Staubfängers ereilt hat) und ich habe über mehrere Monate langsam aber stetig an meiner Ausdauer gearbeitet. Erst wurden die Sessions etwas länger, dann wurden es mehr Sessions pro Woche, diese wurden dann wieder länger und am Ende auch häufiger. Und herausfordernder.

Fortschritt.

Was Anfang Juni 2020 mit leichtem Ausdauertraining von 2 × 15 Minuten pro Woche begann, sind nun, Stand Dezember 2020, 3 × 60Minuten moderates Spinning, im Schnitt kommen 20-25 Kilometer pro Tour zusammen. Dazu noch zwei kurze und sehr intensive 30 Minuten-Workouts pro Woche. In Summe lege ich aktuell ca. 100 Kilometer pro Woche auf dem „Klapprad“ zurück. Die Auszeichnungen von der Apple Watch nehme ich natürlich gerne mit, da ist schon eine schöne virtuelle Sammlung zusammengekommen.

Auszeichung für 7 Trainings pro Woche. Yay!

Motivation.

Zwischenzeitlich wurde mir das mit dem Fernseher zu langweilig, ich brauchte etwas Abwechslung. Moderne Training-Apps wie Kinomap oder Zwift brauchen digitale Ergometer und Heimtrainer, nichts was mein Klapprad bietet. Also behalf ich mir mit YouTube: Hunderte von aktiven Sportlern zeichnen ihre Fahrradtouren auf und laden diese als Motivationsvideos und Schrittmacher auf YouTube hoch. So kann man um den Gardasee fahren, durch Spanien cruisen oder am Strand von Santa Barbara flanieren. Coole motivierende und treibende Mucke ist meist auch noch unterlegt. Dazu werden ziemlich heftige Intervalltrainings angeboten, das perfekte Workout um nach Feierabend noch mal so richtig Gas zu geben. Sich den Stress von der Seele strampeln kann ziemlich befreiend wirken!

25 Kilometer vor dem Frühstück

Abwechslung.

Eines Abends sitze ich mit der Liebsten auf dem Sofa und wir erinnern uns an die Zeit, wo wir noch jung und wild in Fitnessstudios gegangen sind (erfolglos, also bei mir) und das wir beide die Rudermaschinen gemocht haben. Mehr aus Jux und Dollerei (und aus einer Bierlaune heraus) schauen wir bei Amazon, ob man denn so ein Rudergerät für den Heimbereich finden kann. Man kann. Es gibt Foltergeräte aller Preisklassen. „Das behalten wir mal im Auge“ versichern wir uns augenzwinkernd.

Ein paar Tage später, an einem Sonntagmorgen, taucht zufällig eine gebrauchte alte Rudermaschine bei Facebook auf. Für (wirklich) sehr wenig Geld und in exzellentem Zustand. Keine Ahnung was mich geritten hat, aber am Mittwochnachmittag stand die „Streckbank“ neben dem Klapprad. Erstaunlich was so in ein Schlafzimmer passt, oder? Vor einigen Monaten wusste ich noch nicht mal wohin mit einem Ergometer.

Intervalltraining auf der Rudermaschine

Auch hier wieder das gleiche Spiel: schauen was man wie am besten angeht, sich einen kleinen Trainingsplan erstellen lassen und dann gemächlich loslegen. Aktuell rudere ich unter Anleitung diverser YouTube-Trainer zwei Mal die Woche zu je 30 Minuten, einmal Ausdauertraining, die zweite Einheit der Woche ist ein leichtes Intervalltraining. Beim Rudern kommt es vor allem erst mal auf die Technik an, ich hab mir das auch etwas einfacher vorgestellt. Und dann ist da noch schlicht der Fakt das mein „Bäuchlein“ mich am korrekten Ruderschlag hindert. Aber daran arbeiten wir. Also am Bauch und am korrekten Ruderschlag.

Wie.

Alles in Allem bin ich jetzt bei ca. einer Stunde Sport pro Tag bei fünf Tagen die Woche, verteilt auf sieben Trainingseinheiten: drei morgendliche Ausdauertrainings zu 60 Minuten auf dem Klapprad und zwei Rudertrainings morgens á 30 Minuten und zwei intensive Workouts von 30 Minuten auf dem Klapprad nach Feierabend. Und wenn es mich „juckt“ schwing‘ ich mich auch mal am Wochenende für eine kurze Session auf das Klapprad oder die Rudermaschine. Meine Trainings werden mittlerweile gezielter, ich plane Intervalle und versuche diese auch einzuhalten (unter Mithilfe meiner alten Apple Watch und der FITIV App, was noch nicht immer gelingt).

Hardcore. Training nach Herzfrequenzzonen.

Ausblick.

Die Tage des Klapprades sind gezählt, es wird demnächst gegen ein größeres Ergometer ausgetauscht. Eines, das auch für meine Körpergröße, Schrittlänge und mein (aktuelles) Gewicht geeignet ist. Der neue Heimtrainer wird dann auch „smart“ und „interaktiv“ sein und ich habe schon mal bei Kinomap und Zwift reingeschaut. Das wird noch mal spannend. Und es stimmt was man sich unter vorgehaltener Hand so erzählt: ja, es macht ein wenig süchtig.

[Update: mittlerweile ist das neue Ergometer auch da]

Erste Probefahrt mit Kinomap. Immerhin als 3. ins Ziel gekommen.

Erfolg.

Langsam stellen sich die ersten Erfolge ein. Mein Gewicht schmilzt langsam aber stetig um ca. ein Kilogram pro Woche, mein Bauchumfang reduziert sich von Woche zu Woche, mein Körperfettanteil sinkt und, was für mich der wesentliche Punkt ist: Ich fühle mich deutlich wohler in meiner Haut!

Es gibt noch Stellschrauben bei meiner Ernährung, derzeit ist da noch überwiegend alles beim altem geblieben, aber ich will auch nicht alles auf einmal verändern. Ich möchte vor allem Spaß haben.

Das Idealgewicht, die Tour de France und Rudern in Französisch-Polynesien sind noch ein Stück weit entfernt, aber kleine Schritte führen auch zum Ziel!

PS: Die Holde hat zwischenzeitlich auch ihre Berufung gefunden. Zwei mal die Woche nimmt sie live an verschiedenen Fitness-Klassen teil und mittlerweile grooved sie mit Misty Tripoli durchs Wohnzimmer – ich denke, da schließe ich mich auch noch mal hier und da an: das sieht ziemlich cool aus und fetzt total!