Ich möchte mich ja nicht über fehlende Langeweile beklagen, aber manchmal würde ich mich über weniger ereignisreiche Wochen in meinem Leben freuen. Einfach mal durchatmen. Nun denn, so bin ich halt noch mal Vater geworden. Katzenvater.

Vor einigen Wochen hat sich einer der Streuner „von oben“ an unser Haus gewagt. Die wilden Katzen sind sehr scheu und kommen normalerweise nicht in die Nähe von Menschen oder in die Anlage, aber diese Fellnase hatte wohl ziemlich Schmacht, und der Konstitution nach und mit einem geschlossenen linkem Auge war dieses Wesen offensichtlich nicht sonderlich erfolgreich bei der Jagd nach Futter.

Unser Artie zeigte sich generös und liess Sheyla (so tauften wir die Fellnase) von seinem Futter fressen. Von da an hatten wir täglich kurzen Fressbesuch, der auch mit der Zeit ein wenig die Scheu – sagen wir besser: Panik – vor uns verlor.

Nach gut zwei Wochen komme ich dann früh morgens in die Küche und schaue verdutzt auf die Terassentür: da saß Sheyla mit einem – ihrem – Kitten vor dem Fenster. Das kleine, ca. 8 Wochen alte Kitten, war in einem schlechten Zustand und Sheyla griff sich das Fellbündel gleich und verschwand als sie mich hinter der Scheibe sah.

Sheyla kam weiterhin, aber das Kitten sahen wir nicht wieder. Um ehrlich zu sein: wir gingen davon aus, das derdiedas Mini die folgenden Wochen nicht überlebt hat. Und lacht uns jetzt nicht aus, sowas nimmt uns schon ein wenig mit. Da kann man noch tausendmal vor sich hinmurmeln „die Natur hat ihre eigenen Gesetze, sie wird das schon richten“.

Dann, in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag hören wir dann lautes Rufen aus dem Garten, welches auch über den folgenden Tag nicht abnahm. Am Donnerstag Nachmittag lag dann das besagte Kitten zitternd vor unserer Terassentür und suchte Schutz vor dem Regen und rief weiterhin nach seiner Mutter.

Wir legten eine Decke raus und stibitzten Futter von Artie. Das extrem scheue Wesen rannte sofort weg, aber der knurrende Magen trieben das Fellbündel zurück an den Napf und auf die Decke. Es war offensichtlich: Sheyla hatte uns ihren Nachwuchs überlassen.

Nach einiger Zeit kamen wir näher ran und waren geschockt vom Zustand des Kleinen. Die Augen waren vollständig zugequollen, extrem entzündet und eiterten und nässten sehr stark. Das linke Auge war nur noch ein kleiner Schlitz und das rechte Auge war fast auf seine dreifache Größe angeschwollen mit einer riesigen erbsengroßen Entzündung auf der Pupille.

Derdiedas Mini fasste dann etwas Vertrauen und wir fingen damit an, die Augen regelmäßig mit feuchten Tüchern zu reinigen. Da wir derdiedas Mini weiterhin fütterten und die Decke schön gemütlich warm war, blieb Derdiedas liegen und verschwand nicht mehr ins Gebüsch. Die Rufe nach der Mutter wurden immer weniger und am Sonntag fassten wir den Entschluss mit ihm (mittlerweile wussten wir das er ein Kater ist) am nächsten Tag nach der Arbeit zum Arzt zu fahren, in der Hoffnung das der kleine Mann noch zu retten ist. Das war übrigens ein langer Montag für mich.

Der Tierarzt machte uns schnell klar das die Behandlung der Augen ein hartes Stück Arbeit werden würde, die Katze ist zwar unterentwickelt und unterernährt, aber grundsätzlich in einem guten Zustand. Wir atmeten innerlich auf – hatten wir natürlich schon eine Bindung zu dem Kleinen aufgebaut.

Der Arzt nahm sich den kleinen Helden vor, reinigte und behandelte seine Augen, verpasste ihm drei Spritzen (ich war so tapfer!) und verabreichte das übliche „Hallo kleine Katze“-Programm mit allerlei wie Wurmkuren etc. Wir bekamen einige Rezepte für eine Reihe Medikamenten wie leichte Schmerzmittel, Antibiotika und Entzündungshemmer zum schlucken und auftragen. Auch bekamen wir grünes Licht vom Arzt: Artie ist gegen alles Mögliche geimpft und der kleine Mann stellt für ihn keine Gefahr da. Ab jetzt durfte Mini ins Haus und wir waren nun Katzeneltern.

Jeden Tag muss sich der Mini nun morgens und abends mit diversen Mittelchen versorgen lassen und alle zwei Stunden gibt es eine Salbe auf die Augen. Er erträgt es tapfer, wobei er zunehmend unmutiger wird wenn es nicht schnell genug geht. Dafür blüht das Wesen auf und tobt wie ein Wirbelwind durch die Wohnung oder macht Jagd auf große Zehen. Also auf meine.

Nach drei Tagen der Behandlung stellen sich dann auch die ersten Erfolge ein: die Augen nässen nicht mehr und das linke Auge ist mittlerweile ganz geöffnet, während beim rechten Auge die Schwellung deutlich zurück geht und wir am Augenwinkel schon die Pupille hinter der Entzündung erkennen können. Und das Beste: er reagiert auf Reize die von rechts kommen! Wenn wir ganz viel Glück haben, bleibt nicht nicht nur das Auge erhalten, sondern er wird vielleicht auch etwas mit dem Auge sehen können!

Abends wird der kleine Mann dann etwas ruhiger, legt sich zu uns auf den Schoß oder Bauch und schnurrt wenn man ihm den Bauch, den Rücken, Kopf oder Nacken krault und wir geben uns leise das Versprechen das wir das nun gemeinsam durchstehen noch viele schöne Jahre in der Familie Kanzler erleben werden.

Update 03.10.2014

Der kleine Mann hat nun final seinen Namen: Lord Nelson, kurz Nelson. Die Medikation schlägt ordentlich an, der kleine Kater wird von Tag zu Tag kräftiger und lebendiger. Also wirklich lebendig. Was der hier so durch die Wohnung tobt, geht auf keine Kuhhaut. War er am Anfang morgens meist noch ein wenig scheu und lief vor uns weg, so wartet er mittlerweile auf dem Sofa sitzend auf sein Frühstück und die ersten Streicheleinheiten um dann sein morgendliches Turnprogramm zu absolvieren. Hin und wieder verschätzt er sich beim springen oder läuft gegen Gegenstände weil er über das rechte Auge nichts sieht, aber das macht dem Helden nichts aus. Kurz mit den Arsch gewackelt und noch mal Anlauf genommen, dann passt es schon.

Artie ist das ganze noch nicht ganz geheuer. Er kennt die großen Katzen, aber so ein kleines Wesen ist ihm etwas suspekt. Und viel zu aktiv. Er geht leicht auf Distanz, zeigt aber keine Feindschaft Nelson gegenüber. Hin und wieder findet er sich auch mit seiner Rolle des „großen Bruders“ ab und lässt sogar Nelson von seinem Futter fressen. Nicht das Nelson wirklich um Erlaubnis fragen würde.

Sheyla haben wir nicht mehr gesehen. Wir hoffen das es ihr gut geht und das sie vielleicht noch mal vorbeikommt um nach ihrem Jungen zu sehen. Wünschen wir ihr das Beste für sie und ihr Leben in der Welt da draussen.

Update 06.10.2014

Wir kommen gerade vom Arzt. Der kleine Held macht sich sehr gut und der Arzt hat soweit nichts an Nelson auszusetzen. Noch eine weitere Woche die Infektionen behandeln und dann wird nächste Woche Dienstag entschieden was für eine OP in Frage kommt. Er wird aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf dem rechten Auge blind bleiben, da die Pupille mehr oder weniger hinüber ist. Ziel ist, das Auge an sich zu erhalten.

Heute kamen sich Artie und Nelson etwas näher. Artie brummt zwar immer noch wenn ihm der quirlige Kater zu nah kommt, lässt sich aber mittlerweile nicht mehr beim fressen stören oder geht sofort auf Abstand wenn er Nelson antoben kommen sieht. Gelegentlich, wenn Nelson mal ruhig hält (also eher selten), geht Artie auf den Mini zu und schnuppert ein wenig. Was natürlich Nelson als Aufforderung zum Spiel versteht und Artie dann wieder nervt…

Update 15.10.2014

Ich brauchte heute fast 20 Minuten um Nelson in die Transportbox zu bekommen. Er ahnt mittlerweile was ihm blüht. Beim Arzt gab es erst mal Anerkennung für den kleinen Mann: er ist bei etwas mehr einem Kilogram angekommen und macht in Summe einen guten und lebendigen Eindruck.

Für das Auge gibt es leider keine gute Nachrichten. Nach Rücksprache mit einem Augenspezialisten haben wir beschlossen das Auge entfernen zu lassen. Die Katze ist noch zu klein und wächst noch ordentlich und der Augapfel würde diese Entwicklung vermutlich nicht vollständig mitmachen. Die Katze hätte nur Probleme und Schmerzen und das wollen wir nun wirklich nicht. Wir schauen jetzt nach einem Termin und peilen die erste Novemberwoche an.

Update 05.11.2014

Heute war Nelsons „großer Tag“. Nach gut 24 Stunden ohne Futter war er entsprechend gut gelaunt, ließ sich aber ohne Probleme in den Korb verfrachten. Ein wenig unzufriedenes Jammern und dann ging es zum Arzt.

Nicht, dass ich wirklich gut geschlafen hätte, aber irgendwie war ich noch cool. Bis zum Augenblick, als ich die ganzen Papiere unterschreiben musste. Anästhesie, Risiken… Man, mir wurde richtig schlecht. Und bitte noch die Telefonnummer, unter der wir sie erreichen können im Falle, dass etwas passiert. Prima. Da fühlte ich mich gleich besser.  Nicht.

Nelson

Nelson nach der OP

„Kommen Sie um halb sechs und holen den Kater ab.“ Das wird ein langer Tag. Aber den brachte ich auch hinter mich, immer mit bangem Blick auf das Telefon, zusammenschreckend, wenn es klingelte. Als es dann soweit war, konnte es mir nicht schnell genug gehen. Wir fuhren zum Arzt und wurden auch gleich empfangen. Der Doktor führte uns in den OP Saal, holte die Box mit unserem Kater und öffnete die Tür. Hervor sprang eine kleine, muntere und wunderschöne kleine Fellnase. Schnurrend drückte er sich in unsere Arme und uns fielen ganze Gebirge vom Herzen. Erleichterung muss neu definiert werden.

Wir bekamen noch Schmerzmittel, Antiobiotika und antiseptische Reinigungsflüssigkeiten mit, nahmen unseren Kater und waren unglaublich erleichtert. Zuhause ging Nelson dann auch gleich richtig zur Sache und tobt nun – als wäre nichts gewesen – durchs Haus und den Garten.

Wir, panische Fellnasendosenöffner wie wir nun mal sind, haben natürlich erst mal interveniert wenn Artie und Nelson zu sehr tobten, aus Angst die Wunde könnte in Mitleidenschaft gezogen werden, bis wir merkten, dass Artie sehr wohl erkannt hat, wo er hinlangen darf und wo nicht. In Summe kümmert sich Artie erstaunlich liebevoll um den kleinen Haudegen, leckt ihn ab und spielt mit ihm. Die beiden nähern sich nun langsam und teilen das Revier unter sich auf.

Schritt für Schritt.

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