Gegen halb drei nachmittags klingelt mein Telefon. Das ist an für sich nicht sonderlich spannend. Es klingelt öfters. Manchmal auch zu oft.

Wir schreiben das Jahr 1992 und ich verdinge meinen Lebensunterhalt in einem kleinen Systemhaus das Werbeagenturen und Produktionsfirmen für Innen- und Außenwerbung mit passender Apple Hard- und Software beliefert. Am Telefon, ich kann es an der Rufnummer erkennen, ist einer meiner Lieblingskunden. Kurz nach der Wende haben wir viele Systeme „drüben“ installiert, es musste bei diesen Kunden immer schnell gehen. Aus Angst den Anschluss zu verpassen. Aber das ist jetzt wieder eine andere Geschichte.

Seufzend will ich schon zum Hörer greifen, besinne mich eines Besseren und gehe noch in die Küche um mir einen Kaffee zu holen. Sowas kann ja üblicherweise länger dauern. Mit Kaffee und einem Croissant bewaffnet erreiche ich wieder meinen Platz und greife zum, zu meinem Bedauern immer noch klingelnden, Telefon.

„Heiko Kanzler. Guten Tag Frau Marquard*1, was kann ich heute für Sie tun?“ flöte ich, so freundlich es mir möglich ist, in das Telefon. Frau Marquard*2 stammt aus Finsterwalde, nahe der polnischen Grenze und gehört zu den wenigen*3 Kunden, die Handbücher grundsätzlich nicht lesen. Und den technischen Vertrieb als Support missbrauchen*4. Ich stelle mich auf eine Schulungseinheit „Mausbedienung, Computergrundwissen 1 bis 3, sowie Grundlagen der Schildermalerei für EDV-Umsteiger“ ein.

„Herr Kanzler, das Aquarium ist undicht!“

Öhm. Ja. Wie bitte? Das Aquarium ist undicht? Welches Aquarium? Und warum ruft sie mich deswegen an?

„Öhm. Ja. Wie bitte? Das Aquarium ist undicht? Welches Aquarium? Und warum rufen Sie mich deswegen an?“ frage ich. Fachlich kompetent, wie ich finde. Zufrieden mit meinem Telefonsupport lehne ich mich in den Stuhl zurück, trinke einen Schluck Kaffee und beisse in mein Croissant.

„Na, das was Sie mit dem Computer und diesem Riesenbildschim mitgeliefert haben. Da wo auch die fliegenden Toaster kommen.“

Ich verschlucke mich an meinen Kaffee, huste meinen Croissant in den Monitor und wische hastig Tröpfchen und Krümel von meiner Tastatur.

„Sie meinen den Bildschirmschoner?“ röchel ich zwischen zwei Hustenanfällen.

„Keine Ahnung was das ist. Aber es blubbert und macht Fische auf dem Bildschirm. Und jetzt ist es undicht.“ schallt es mir beleidigt aus dem Hörer entgegen.

„Frau Marquard,“, ich hole Luft, „d’s issein Kompjudaprogramm. Läuftnichtsaus.“ huste ich in den Hörer.

„Herr Kanzler, Sie glauben auch mit uns Ossies kann man alles machen, was? Ich will das Sie SOFORT herkommen und das abdichten! Der ganze Schreibtisch ist schon nass!“ bringt mir Frau Marquard aufgebracht entgegen und beendet aufgebracht das Gespräch.

Nun, das war ja in Summe kürzer als erwartet denke ich so bei mir, als ich unmittelbar darauf im Nebenzimmer das Telefon klingeln höre. Mir schwant böses.

„Hmm.. Ja… Ja… Klaus, mag ja sein… Nein… das kann nicht sein… Glaub mir… Nein, hör mal zu Klaus… das ist ein Programm…“ höre ich meinen Chef mit Klaus, dem Chef von Frau Marquard reden. Beide sind per Du, kennen sich, sind technisch versiert und sollten das Problem locker in den Griff kriegen. Aha. Chef legt auf und ich höre, wie er die Tür zu meinem Büro öffnet.

„Heiko, Du muss sofort nach Finsterwalde! Da ist irgendwas undicht.“

Ich glaube, ich höre nicht richtig. Ich soll sofort die 600 Kilometer quer durch die alte und neue Republik fahren um einen undichten Bildschirmschoner zu reparieren?

Ja. Ich soll.

Um halb elf komme ich des Nächtens an und werde von einer triumphierenden Frau Marquard begrüßt. Harsch führt sie mich durch die mittlerweile umgebauten Produktionshallen in den „Computerraum“, welcher noch in der alten Garage untergebracht ist. Bedeutungsvoll zeigt sie auf den sündhaft teuren Ikegami 19“ Farbbildschirm und leise blubbert After Dark vor sich hin. Der Bildschirmschoner schickt einen bunten Fisch nach dem anderen über die Phosphorfläche und lässt sanft die Aquariumpflanzen in imaginären Wellen wiegen.

Der Bildschirmfuss steht im Wasser und ich kann erkennen, dass aus dem Monitor hinten durch die Lüftungsschlitze Wasser austritt. Das Aquarium ist undicht!

Frau Marquard bedenkt mich mit ihrem besten „Ich habs Ihnen doch von Anfang an gesagt, aber SIE glauben mir ja nicht“-Blick und macht auf dem Absatz kehrt um auf und davon zu stöckeln. Mich mit dem undichten Bildschirm verblüfft zurückzulassend.

„Na Heiko, wie gefallen Dir unsere neuen Hallen?“ kommt, sichtlich stolz, Klaus, der Inhaber der Firma in den Computerraum und reicht mir ein Bier. Ich nehme es dankbar an. „Wir sind erst letzte Woche fertig geworden. Das Dach machte Probleme und bei dem starken Regen jetzt im Winter sind wir froh, dass wir noch schnell genug fertig geworden sind.“

Ich horche auf, schaue zur Decke und bitte darum das große Hallenlicht anzuschalten. Dann seufze ich erleichtert auf. Wir können in der Ecke über dem Bildschirm erkennen dass die Deckenverkleidung feucht ist.

Das undichte Aquarium ist schnell erklärt. Das neue Dach war im vorderen Teil der Halle undicht, das Wasser lief nach hinten ab und tropfte teilweise durch die Deckenverkleidung von oben in den Bildschirm. Irgendwann lief das Wasser im Gehäuse über und kam dann hinten aus dem Bildschirm. Glück im Unglück. Nur wenige Millimeter weiter nach vorne geneigt oder auch nur um Zentimeter nach hinten gestellt, wäre das Wasser in die stromführenden Teile des Monitors getropft. Ein verschmorter Monitor dank Kurzschluss wäre die Folge gewesen.

Vermutlich hätte man mich dann angerufen, dass die fliegenden Toaster kaputt sind…

 

*1 Name der Redaktion geändert

*2 Name der Redaktion immer noch geändert

*3 geschätzte 100%

*4 Damals™ wurden keine Schulungen gebucht, heute™ ist das alles natürlich ganz anders.